Pressemitteilung vom 2. März 2010

Waren kurze Warmphasen in vormenschlicher Zeit typisch für den Übergang zu einer Kaltzeit?

Forscher werten Klimaschwankungen vor 115.000 Jahren aus

Halle(Saale)/Leipzig/Moskau. Am Ende der vorigen Warmzeit, vor rund 115.000 Jahren, hat es deutliche Klimaschwankungen gegeben. Der langsame Übergang von der Eem-Warm- zur Weichsel-Kaltzeit war in Mittel- und in Osteuropa durch eine wachsende Instabilität in der Vegetationsentwicklung und wahrscheinlich durch mindestens zwei kurze Warmphasen gekennzeichnet. Zu diesem Ergebnis kommen deutsche und russische Klimaforscher durch die Auswertung von geochemischen und Pollenanalysen von Seesedimenten in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Russland. Es scheine, dass eine kurze Erwärmungsphase ganz am Ende der letzten Warmzeit den endgültigen Übergang zur Eiszeit markiere, schreiben Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (SAW) und der Russischen Akademie der Wissenschaften im Fachblatt Quaternary International.

Präparation eines Sedimentkerns aus dem Eem

Dr. Achim Brauer vom Helmholtz-Zentrum Potsdam (GFZ) bei der Präparation eines Sedimentkerns aus dem Eem im Tagebau Gröbern.
Foto: Stephan Weise/UFZ

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Tagebau Neumark-Nord im Geiseltal bei Merseburg

Der Tagebau Neumark-Nord im Geiseltal bei Merseburg war einer von vier inzwischen verlandeten Seen, aus deren Sedimenten die russischen und deutschen Forscher das Klima in Mittel- und Osteuropa vor rund 115.000 Jahren rekonstruiert haben. Damals endetet die letzte Warmzeit, auf die die so genannte Weichsel-Kaltzeit folgte, die erst vor etwa 15.000 Jahren endete.
Foto: Frank W. Junge/SAW

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Die Eem-Warmzeit war die letzte Warmzeit vor der heutigen, immer noch anhaltenden Warmzeit, dem Holozän. Sie begann vor etwa 126.000 Jahren, endete vor ca. 115.000 Jahren und ist nach dem Fluss Eem in den Niederlanden benannt. Die darauf folgende Weichsel-Kaltzeit, die vor etwa 15.000 Jahren endete, ist die bisher jüngste Kaltzeit. Auf dem Höhepunkt der nach dem polnischen Fluss Weichsel benannten Kaltzeit reichten die Gletscher vor etwa 21.000 Jahren bis südlich von Berlin (Brandenburger Stadium).

Zur Rekonstruktion der Klimageschichte der Eem-Warmzeit untersuchten die Forscher Seesedimente, da sich am Boden von Gewässern durch Ablagerungen im Laufe vieler Jahre ein Klimaarchiv ansammeln kann. Die Proben stammten von damals existierenden und später verlandeten Seen, aufgeschlossen in den ehemaligen Tagebauen Gröbern bei Bitterfeld, Neumark-Nord im Geiseltal bei Merseburg und Klinge bei Cottbus und bei dem Ort Ples am Oberlauf der Wolga, etwa 400 Kilometer nordöstlich von Moskau. Gröbern in Sachsen-Anhalt gilt unter Experten inzwischen als einer der am besten untersuchten Orte für die Klimageschichte der Eem-Warmzeit in Deutschland. Neben Pollenkonzentrationen analysierten die Forscher auch den Gehalt und die Verhältnisse stabiler Isotope des Kohlenstoffs (13C/12C) und des Sauerstoffs (18O/16O) von Karbonaten und organischen Bestandteilen aus den unterschiedlich alten Sedimentschichten, da diese Rückschlüsse auf die Entwicklung der Vegetation und des Klima erlauben.

Die Ergebnisse zeigen einen zu Beginn und am Ende des Eems schwankenden, aber in der überwiegenden Zeit relativ stabilen Klimaverlauf. "Die beobachtete Instabilität mit dem nachweislichen Auftreten von kurzen Erwärmungsphasen während des Übergangs von der vorigen Warm- zur letzten Kaltzeit könnte, sorgfältig betrachtet, eine allgemeine natürliche Eigenschaft solcher Übergangsphasen sein", schlussfolgert Dr. Tatjana Böttger (UFZ), die die Sedimentprofile im Hallenser Isotopenlabor des UFZ analysiert hat. "Detaillierte Studien dieser Phänomene sind für das Verstehen der momentanen, kontrovers diskutierten Klimatrends wichtig, um den menschlichen Anteil am Klimawandel sicherer zu bestimmen", erläutert Dr. habil. Frank W. Junge von der SAW.

Durch Rekonstruktionen der Klimageschichte ist bekannt, dass Warmzeiten in der jüngsten Erdgeschichte nur etwa alle rund 100.000 Jahre auftraten und im Schnitt etwa rund 10.000 Jahre andauerten. Die jüngste Warmzeit - das Holozän - dauert bereits mehr als 10.000 Jahre an und hatte ihren bisherigen Höhepunkt bereits vor etwa 6000 Jahren erreicht. Aus klimageschichtlicher Sicht befinden wir uns heute am Ende des Holozäns und es wäre also in einigen Tausend Jahren eine Abkühlung zu erwarten, wenn es den menschlichen Einfluss auf die Atmosphäre und die daraus resultierende globale Erwärmung nicht gegeben hätte.
Tilo Arnhold

Publikation

Tatjana Boettger, Elena Yu. Novenko, Andrej A. Velichko, Olga K. Borisova, Konstantin V. Kremenetski, Stefan Knetsch, Frank W. Junge (2009):
Instability of climate and vegetation dynamics in Central and Eastern Europe during the final stage of the Last Interglacial (Eemian, Mikulino) and Early Glaciation
Quarternary International 207, 137-144
http://dx.doi.org/10.1016/j.quaint.2009.05.006

Weitere fachliche Informationen:

Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ)
Dr. Tatjana Böttger
Tel. 0345-558-5227

Dr. Stephan Weise
Tel. 0345-558-5435
Dr. Stephan Weise

PD Dr. Frank W. Junge
Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (SAW)
Tel. 0341-7115318
PD Dr. Frank W. Junge

oder

Tilo Arnhold (UFZ-Pressestelle)
Telefon: 0341-235-1635
presse@ufz.de

Weiterführende Links:

Klimaentwicklung räumlich und zeitlich vergleichen
(UFZ-Magazin 12, 2006)
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Paläo-Klimaforschung am UFZ
ww.ufz.de/index.php?de=17015
www.ufz.de/index.php?de=1699

IPCC: Climate Change 2007: The Physical Science Basis - Chapter 6 Palaeoclimate
www.ipcc.ch/pdf/assessment-report/ar4/wg1/ar4-wg1-chapter6.pdf

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg über 900 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

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