Standpunkt 21. Januar 2014

Abschied von europäischen Ausbauzielen für Erneuerbare Energien? Eine ökonomisch fragwürdige Entscheidung

Dr. Paul Lehmann, Prof. Dr. Erik Gawel, Dr. Sebastian Strunz
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, Department Ökonomie, Leipzig


Kraftwerk und Windkraftwerke. Foto: fotolia, ©Stefan Ouwenbroek Wie sieht der Energiemix der Zukunft aus? Die Umweltökonomen des UFZ Dr. Paul Lehmann, Prof. Dr. Erik Gawel und Dr. Sebastian Strunz kommentieren die EU-Politik zu Erneuerbaren Energien. Foto: fotolia, ©Stefan Ouwenbroek Die EU-Kommission will in Zukunft nicht mehr auf verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energien auf Ebene der Mitgliedsstaaten setzen. Bislang verfolgt die EU für das Jahr 2020 drei klima- und energiepolitische Ziele: Die Minderung der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 20%, Steigerung des Anteils erneuerbarer Energien (EE) am Gesamtenergieverbrauch auf 20% und Verbesserung der Energieeffizienz um ebenfalls 20%. Für die Zeit nach 2020 plant die Kommission nun, primär auf ein ambitioniertes Klimaschutzziel zu vertrauen: Bis zum Jahr 2030 sollten die Treibhausgasemissionen nun um 40% gegenüber 1990 reduziert werden. Zwar wird zusätzlich noch das Ziel formuliert, den Anteil erneuerbarer Energien auf europäischer Ebene auf 27% bis 2030 zu erhöhen. Jedoch möchte die Kommission in Zukunft nicht mehr vorschreiben, welchen konkreten Beitrag die einzelnen Mitgliedsstaaten zur Erreichung dieses Ziels zu leisten haben. Folglich könnte niemand mehr für eine mögliche Verfehlung des Ziels zur Verantwortung gezogen werden. Im Ergebnis schrumpft das Ausbauziel für erneuerbare Energien damit zu einem zahnlosen Tiger.

Diese Entscheidung kommt nicht völlig überraschend. Mehrere Mitgliedsländer, darunter Großbritannien, hatten sich klar gegen feste Ziele für EE-Ausbau und Energieeffizienzsteigerungen ausgesprochen. Unterstützung erhielten sie dabei von den europäischen Lobbyverbänden der Arbeitgeber und der Stromwirtschaft. Die deutsche Bundesregierung hingegen hatte sich stets für ein separates Erneuerbaren-Ziel eingesetzt.

Auf den ersten Blick erscheint die These der Kritiker einleuchtend: Vorgaben, welche einen EE-Ausbau oder eine Verbesserung der Energieeffizienz parallel zum Klimaschutzziel festschreiben, schränkten die Marktakteure bei ihrer Suche nach möglichst günstigen Wegen zur Emissionsvermeidung unnötig ein. In der Konsequenz erhöhe ein Ziel- und Maßnahmenbündel notwendigerweise die Kosten des Klimaschutzes. Folglich erschiene es gesamtwirtschaftlich sinnvoll, einzig auf ein Klimaschutzziel zu setzen. Zur Erreichung dieses Ziels sollte dann primär der europäische Emissionshandel zum Einsatz kommen.

Mit dieser Argumentation wird jedoch unterstellt, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien und die Erhöhung der Energieeffizienz allein dem Klimaschutz dienen sollen. Die mit der Energieerzeugung verbundenen Umweltauswirkungen sind aber vielfältig: Sie reichen vom Abbau der Energieträger (Stichworte: Landschaftsverbrauch und Gewässereingriffe durch Kohletagebau und Fracking) über deren Transport (Tankerhavarien) und deren Einsatz zur Strom-, Wärme- und Krafterzeugung (Feinstaubemissionen und nukleare Störfälle) bis hin zur Entsorgung von Atommüll oder Importrisiken.

Die gesellschaftlichen Kosten dieser Risiken spiegeln sich typischerweise nicht in den Energiepreisen wider. Preissignale, die Energieträgerwahl und Verbrauch steuern, sind deswegen vielfach verzerrt. Aus ökonomischer Sicht versagt der Markt daher nicht nur beim Klimaschutz. Um die gesellschaftlichen Kosten zu minimieren, muss der Staat eingreifen. Natürlich sollten die genannten Umweltprobleme im Idealfall möglichst direkt angegangen werden – etwa durch die Besteuerung von umweltbelastenden Energieträgern. Aus verschiedenen Gründen ist dies jedoch auf europäischer Ebene nicht immer möglich oder sinnvoll – etwa wenn interregional relevante Umweltverschmutzungen außerhalb des EU-Hoheitsgebietes versursacht werden oder internationale Handelsabkommen eingehalten werden müssen.
Unter diesen Bedingungen eröffnen separate Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien zumindest eine pragmatische Lösung. Sie beeinflussen die Energieträgerwahl und den Energieverbrauch und leisten auf diese Weise einen indirekten Beitrag zur Reduzierung der genannten negativen Umweltwirkungen. Dabei ist klar, dass auch erneuerbare Energien nicht frei von Umweltproblemen sind, die beim Ausbau beachtet werden müssen. Ferner können explizite EE-Ausbauziele Marktversagen beim Technologieübergang auf noch nicht ausgereifte Erzeugungstechnologien überwinden und zur Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen durch staatliche Förderung konventioneller Energien beitragen. Nicht zuletzt können EE-Ausbau- und Effizienz-Ziele politische Probleme auffangen, die gegenwärtig beim Klimaschutz, der sich allein auf einen notleidenden Emissionshandel stützt, nur allzu offensichtlich sind. Dies ist gegenüber einem perfekten Emissionshandel zwar vielleicht nur klimapolitisches third-best, aber eine pragmatische Lösung für die reale Welt, die selten die Lehrbuchwelt ist.

Ein europäisches EE-Ausbauziel könnte zudem die Grundlage sein für die gegenüber rein nationalen Politikern vielfach eingeforderten europäischen Effizienzgewinne bei der Nutzung Erneuerbarer. Und rein nationale Energieeffizienzpolitik schwächt unnötig die innergemeinschaftliche Wettbewerbsposition der Vorreiterstaaten.

Das Fazit ist damit klar: Soll die Energieerzeugung in Europa in Zukunft umweltverträglich gestaltet werden, bleibt auch aus rein ökonomischer Sicht ein Mix aus Zielen und Instrumenten – inklusive fester Ziele für EE–Ausbau und Energieeffizienzverbesserungen erforderlich. Dieser Mix muss sich an Konsistenz- und Effizienzforderungen messen lassen; eine einseitige Fokussierung auf den Klimaschutz und auf ein vermeintlich einfaches Allein-Instrument wie den – derzeit schwächelnden – Emissionshandel geht an den Anforderungen der Praxis an eine rationale Energieumweltpolitik vorbei.